Deutscher Studienpreis Dissertation zur Wiedergutmachung für Sinti und Roma ausgezeichnet

Joey Rauschenberger erhält einen der höchstdotierten Preise für den wissenschaftlichen Nachwuchs

30.7.2025

Die Körber-Stiftung zeichnet die Dissertation von Joey Rauschenberger über die „Wiedergutmachung für Sinti und Roma: eine Praxisgeschichte der Entschädigung von NS-Unrecht in Baden-Württemberg 1945 – 1980“ mit dem zweiten Preis in der Sektion Geistes- und Kulturwissenschaften (dotiert mit 10.000 Euro) aus. Die Auszeichnung wird am 4. Dezember von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner in Berlin verliehen.

Dunkelblonder Mann mit runder Brille vor rot-gelber Wand

Joey Rauschenberger arbeitete zwischen 2020 und 2024 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Forschungsstelle Antiziganismus. Seine Dissertation entstand im Rahmen des Drittmittelprojekts Antiziganistische Kontinuitäten in Baden-Württemberg nach 1945. Die Baden-Württemberg Stiftung förderte das Forschungsvorhaben als Teil des an den Universitäten Heidelberg und Stuttgart angesiedelten Verbundprojekts Reintegration, Schuldzuweisung und Entschädigung. Bewältigung und Nicht-Bewältigung der NS-Vergangenheit in Baden-Württemberg und seinen Vorgängerländern 1945 bis 1952

In seiner Arbeit geht Joey Rauschenberger der Frage nach, inwiefern die Überlebenden des NS-Völkermords an Sinti und Roma durch die Bundesrepublik – exemplarisch Baden-Württemberg und seine drei Vorgängerländer – entschädigt wurden. Seine Resultate, für die der Historiker zahlreiche Einzelfallakten der Wiedergutmachungsämter in Freiburg, Tübingen, Stuttgart und Karlsruhe ausgewertet hat, zeigen, dass Sinti und Roma von den Behörden hinsichtlich der Auszahlung von Entschädigungsgeldern weniger diskriminiert wurden, als dies in der Forschung bisher angenommen worden ist. Diese Erkenntnis steht im Gegensatz zur bis heute unter dem Schlagwort „zweite Verfolgung“ tradierten Enttäuschung und Empörung von Selbstorganisationen und Communities über die Praxis der Entschädigung von Verfolgungsleid. Um die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Betroffenen und der empirischen Befunde zu erklären, verfolgt Rauschenberger einen praxistheoretischen Ansatz und richtet den Blick auf administrative Arbeitsabläufe sowie behördliche Alltagsroutinen. So zeigt der Historiker, dass persönliche Interaktionen zwischen Entschädigungspersonal und Minderheitsangehörigen regelmäßig in gegenseitigem Unverständnis und Frustration endeten. Die von individuellem Verhalten, unausgesprochenen Erwartungshaltungen und wechselseitigen Vorurteilen bestimmten Erfahrungen, die Sinti und Roma in der brisanten „Kontaktzone“ Entschädigung machten, prägten ihre Rezeption der Wiedergutmachung oft ebenso sehr wie die finalen Bescheide und ausgezahlten Geldsummen. Die Arbeit ist damit auch ein Stück Kulturgeschichte von Verwaltungshandeln und gibt Aufschluss über die Gestaltung politischer Versöhnungsprozesse.

Die Dissertation erscheint Mitte 2026 in der Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Als Mitherausgeber publiziert Joey Rauschenberger außerdem im Frühjahr 2026 einen englischsprachigen Sammelband zur Wiedergutmachung von NS-Unrecht in der FSA-Schriftenreihe Antiziganismusforschung interdisziplinär.