Blog Filmkritik Das Cine Quinqui und der (un)archivierte Übergang: Eine kritische Lektüre der Gitano-Repräsentation
von Dr. Ismael Cortés
Das in den 1970er Jahren entstandene Cine Quinqui, das während der Transformation Spaniens zur Demokratie kulturelle Bedeutung erlangte, fungiert zunehmend als eine Art kulturelles Archiv – ein ästhetisches Repertoire, das die Spannungen, Widersprüche und symbolischen Brüche einer sich im Wandel befindlichen Gesellschaft sowohl festhält als auch konstruiert. Doch wie jedes Archiv ist auch dieses nicht ideologisch neutral. Es erfordert eine kritische Hinterfragung. Was ist miteinbegriffen, was fehlt? Wer sind die Subjekte, die es darstellt, und durch welche narrativen Rahmen werden diese Darstellungen strukturiert? Und vor allem: Wie greifen diese filmischen Erzählungen in die Produktion kollektiver Gedächtnisse an entscheidenden historischen Zeitpunkten ein? Dieser Artikel geht diesen Fragen aus einer antirassistischen Perspektive nach und fragt: Welchen Einfluss hatte das Cine Quinqui auf die Darstellung der Gitano-Minderheit während der Systemtransformation Spaniens?
Obwohl Filme des Genres oft in Realismus suggerierender Sprache und vermeintlicher dokumentarischer Authentizität erscheinen, konstruiert es einen kinematografischen Rahmen, in dem die Handlungsfähigkeit der Gitanos negiert wird. Die Figuren werden kriminalisiert und erscheinen nihilistisch, stehen außerhalb der Grenzen des zivilgesellschaftlichen Lebens. Durch den wiederkehrenden Fokus auf Jugendkriminalität, Drogenkonsum und Inhaftierung reproduziert und festigt das Cine Quinqui rassistische und klassenbezogene Stereotypen. Filme wie Perros callejeros (De la Loma, 1977), Navajeros (De la Iglesia, 1980), Colegas (De la Iglesia, 1982) und Deprisa, deprisa (Saura, 1981) zeigen Gitanos als kriminelle Figuren, die eine Bedrohung für die soziale Ordnung darstellen und nicht mit Spaniens Demokratisierung übereinstimmen.

Im Sinne Bourdieus bedeutet symbolische Macht die Fähigkeit, eine bestimmte Vision der sozialen Welt durchzusetzen – eine dominante Doxa, die fälschlicherweise als natürlich, unvermeidlich und unanfechtbar angesehen wird. Diese Macht ist ungleich verteilt und für die meisten strukturell unzugänglich. Das Monopol liegt bei jenen Akteuren und Institutionen, die über die erforderlichen Formen kulturellen, wirtschaftlichen und institutionellen Kapitals sowie über einen privilegierten Zugang zu den technologischen Mitteln symbolischer Produktion verfügen. Diese Asymmetrie ermöglicht die Ausübung symbolischer Gewalt: eine Form kultureller Herrschaft, durch die untergeordnete Gruppen verkannt, delegitimiert und der Autorität beraubt werden, in ihrem eigenen Namen zu sprechen oder ihre historischen Erfahrungen zu erzählen.
Aus dieser Perspektive muss das Cine Quinqui nicht nur als filmisches Genre verstanden werden, sondern als ein kulturelles Feld, in dem Kämpfe um Repräsentation, Anerkennung und Legitimität ständig (neu)verhandelt werden. Obwohl das Genre darauf abzielt, soziale Marginalität zu dokumentieren, schließt es systematisch die Stimmen der Gitano aus dem narrativen Design aus. Insbesondere jene, die in den politisierten Lebenswelten der marginalisierten städtischen Peripherien verwurzelt sind. Diese Erfahrungen werden nicht von innen dargestellt, sondern durch einen externen Blick vermittelt, der die Gitano-Subjekte ihrer politischen Handlungsfähigkeit beraubt. Ihre Sichtbarkeit beschränkt sich auf Tropen von Devianz und Kriminalität, während ihre tatsächliche zivilgesellschaftliche Beteiligung und ihr soziales Engagement strukturell unsichtbar gemacht werden.
Diese Darstellungslogik untergräbt jeden Anspruch auf Realismus zutiefst. Das Cine Quinqui ist weit davon entfernt, eine neutrale Darstellung der sozialen Realität zu liefern. Es normalisiert hingegen die politische Unsichtbarkeit der zivilgesellschaftlichen Initiativen der Gitanos und platziert sie außerhalb des symbolischen Koordinatensystems des spanischen Demokratisierungsprojekts. Es stärkt eine kulturelle Ordnung, in der rassifizierte subalterne Gruppen als Residuen oder Abjekte dargestellt werden und nicht als Akteure politischer Transformation. Auf diese Weise festigt das Cine Quinqui vorherrschende Wahrnehmungs- und Verkennungsschemata.
Gegen dieses ästhetische Regime plädiere ich für ein Neudenken der Bedeutung der Gitano-Geschichte – eine, die die demokratischen, antifaschistischen und gemeinschaftsbasierten Initiativen von Gitano-Individuen und -Organisationen während der spanischen Systemtransformation in den Vordergrund stellt. Diese Geschichten des Widerstands, der Solidarität und des zivilgesellschaftlichen Engagements wurden in den vorherrschenden kulturellen Diskursen systematisch ausgeblendet. Um sich gegen diese Auslöschung zu wehren, ist es notwendig hegemoniale Narrative, die eine ganze Gruppe stigmatisieren, kritisch zu hinterfragen und sie durch Darstellungen zu ersetzen, die die politische Komplexität und Vielfalt des Lebens der Gitanos widerspiegeln.


Narrative im Film sind schließlich keine transparenten Spiegelbilder sozialer Wirklichkeit. Sie sind ästhetische Konstruktionen, geprägt von der sozialen Position ihrer Produzenten – ihrer Klasse, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrem Geschlecht und ihrem Zugang zu symbolischem Kapital. Wie alle kulturellen Artefakte tragen auch Filme die unbewussten Vorurteile, affektiven Investitionen und epistemischen Beschränkungen derjenigen in sich, die sie schaffen. Unter dem Deckmantel von ungeschöntem Realismus und ästhetischer Authentizität produzierte das Cine Quinqui ein exotisiertes und reduziertes Bild der Gitano-Gemeinschaften. Dabei verschleierte es die existierenden Formen des politischen Engagements und der Gemeinschaftsorganisation, die viele Gitano-Viertel während der Transformation zur Demokratie kennzeichneten.
Der repräsentative Blick des Genres versäumte es, das politischen Umfeld, in dem viele Gitanos aktiv waren, in den Blick zu nehmen – Räume, die von den marxistischen und christlich-linken Bewegungen von den 1960ern bis in die 1980er Jahre geprägt waren. Stattdessen wurde eine imaginierte Alterität konstruiert, die auf die Wünsche und Ängste der aufstrebenden Mittelschicht zugeschnitten war – dem Hauptpublikum dieser Filme. In dieser filmischen Imagination wird die urbane Peripherie nicht als Ort des politischen Bewusstseins oder des kollektiven Kampfes dargestellt, sondern als ein Spektakel des Vergehens: eine Zone des Lasters, der Gewalt, der Hypersexualität und des prekären Vergnügens. Das ausgegrenzte Subjekt wird eher zum Objekt voyeuristischer Faszination als zu einem Teilnehmer am historischen Wandel.
Diese Falschdarstellung hat eine kritische Lücke im kulturellen Gedächtnis der spanischen Systemtransformation geschaffen. Durch die Bevorzugung der Lesbarkeit von Stereotypen gegenüber der Komplexität der gelebten Erfahrung trug das Cine Quinqui zur symbolischen Auslöschung der politischen Subjektivität der Gitanos bei. In den Zwischenräumen, in denen sich Klasse und ethnische Zugehörigkeit überschnitten – Spaniens verarmte städtische Randgebiete –, fand weit mehr statt, als diese Filme darstellen wollten oder konnten.
Es ist daher unerlässlich, eine Kulturkritik der Darstellungslogik vorzunehmen, durch die das Cine Quinqui die öffentliche Wahrnehmung der Gitano-Minderheit geprägt hat. Die verkürzten Darstellungen haben den historischen Beitrag einer ganzen Gemeinschaft zur Demokratisierung Spaniens verschleiert. Die Aufarbeitung und Überarbeitung dieses Archivs ist nicht nur eine akademische Aufgabe, sondern eine ethische und politische Notwendigkeit. Nur wenn wir die Komplexität, die Vielfalt und die Handlungsfähigkeit der Gitano-Erfahrungen wiederherstellen, können wir damit beginnen, sie in die breitere Erzählung der modernen Demokratiegeschichte Spaniens einzuschreiben.
Zur Vertiefung des Themas lade ich die Leser ein, meinen Artikel Gitanos and Subalternity in Cine Quinqui: The (Un)Archived Spanish Transition", in Mladenova, Radmila (2024): Counterstrategies to the Antigypsy Gaze. Heidelberg University Publishing. Hier verfügbar, auf Englisch.
Dr. Ismael Cortés
Ismael Cortés ist sowohl Wissenschaftler als auch praktizierender Politikanalyst mit Erfahrung aus der aktiven Politik. In seiner Arbeit verbindet er akademische Forschung und politische Entscheidungsfindung, indem er historische und strukturelle Diskriminierung durch rigorose Analysen und konkrete gesetzgeberische und politische Maßnahmen bekämpft. Derzeit prägt Dr. Cortés den Diskurs über Gleichberechtigung und Integration als Romani Rose-Fellow an der Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg und als außerordentlicher Professor im internationalen Masterprogramm für Friedens-, Konflikt- und Entwicklungsstudien an der Universität Jaume I, wo er die nächste Generation globaler Wissenschaftlerinnen und Fachleute, die sich für Menschenrechte engagieren, betreut.