Blog Filmkritik Ballerina: Flammen tanzen auf den Schatten der Ruska Roma

Autor: Dr. Ismael Cortés

 

Ein Rückblick. Alles begann mit dem Tod eines Hundes – dem letzten Geschenk einer kürzlich verstorbenen Frau. Diese eine Tat entfachte einen Brand in der kriminellen Unterwelt. Als John Wick (Regie: Chad Stahelski, USA) 2014 in die Kinos kam, ahnten nur wenige, dass ein trauernder Auftragskiller mit makelloser Treffsicherheit eine der stilistisch anspruchsvollsten Action-Franchises des Jahrzehnts begründen würde.

Sprung ins Jahr 2025: Ballerina (Regie: Len Wiseman, USA) kommt mit ganz anderer Energie daher. Das Spin-off, das zwischen John Wick: Kapitel 3 und Kapitel 4 spielt, betritt die Bühne mit einem ganz anderen Puls. Mit Ana de Armas in der Rolle der Eve Macarro, einer jungen Attentäterin, die von den geheimnisvollen Ruska Roma ausgebildet wurde, bietet der Film eine neue Perspektive auf die Wick-Saga. Die Rachehandlung bleibt unverändert: Eve ist auf einer Mission, um den Mord an ihrem Vater zu rächen. Aber während Wick seine Trauer mit eiskalter Präzision überwindet, bleibt Eve in den Nachwehen stecken. De Armas verleiht der Rolle eine rohe emotionale Aufladung und verlagert den Ton von opernhafter Gewalt zu etwas stärker Intimem und Tragischem. Ihre Präsenz bringt den üblichen Handlungsstrang der gerechten Rache durcheinander; anstatt vorwärtszustürmen, widersetzt sie sich der Vorstellung, dass der Kreislauf der Gewalt unvermeidlich ist.

Der Film zeichnet Eves Verwandlung anhand flüchtiger, atmosphärischer Einblicke nach: kurze visuelle Erinnerungen, wortlose Dialoge und Momente bedeutungsschwerer Stille. Ihre Roma-Herkunft, die für ihre Identität von wesentlicher Bedeutung ist, wird eher angedeutet als erklärt, sodass die Zuschauer die Bedeutung aus Fragmenten zusammensetzen müssen. Diese stilistische Entscheidung öffnet die Tür zu tieferen Fragen über den Verlust von Familie, Gruppenzugehörigkeit und das Überleben des Menschen. Eves Trauer ist eng mit der strengen Disziplin ihrer Erziehung verflochten. Aufgewachsen unter der strengen Führung der Direktorin (Anjelica Huston), Anführerin der Ruska Roma – einer geheimnisvollen Gruppe von Attentätern, die bereits in früheren Filmen eingeführt wurde –, ist Eve geprägt von einer Welt, in der Eleganz Brutalität verbirgt. Mit dem Mantra, „wie eine Frau zu kämpfen“, wird ihr beigebracht, Verletzlichkeit als Waffe einzusetzen und rohe Gewalt gegen Instinkt und psychologische Präzision einzutauschen. Die Actionsequenzen spiegeln diese Ausbildung wider: ballettartig und doch wild, durchsetzt mit stiller Introspektion, die die Gewalt eher im Charakter, denn im Spektakulären verankert.

Film Poster. © LIONSGATE 2025.

Und doch bleibt der Film trotz seiner vielschichtigen Ambitionen hinter einer vollständigen Erforschung der kulturellen Wurzeln zurück, aus denen er schöpft. Die Ruska Roma dienen in erster Linie als Kulisse – eher als mysteriöse Institution, denn als lebendige Gemeinschaft. Ihre Darstellung ist eher symbolisch als substanziell und reduziert sie auf einen mythischen Orden von Attentätern, anstatt sich mit dem Erbe ihrer Identität und Tradition auseinanderzusetzen. Diese Auslassung verflacht Eves Verwandlung und lässt ihre Entwicklung losgelöst von der Abstammungslinie erscheinen, die der Film angeblich in den Mittelpunkt stellt.

Anjelica Huston as The Director in Ballerina. © LIONSGATE 2025.

Während „Ballerina“ es schafft, sich vom männlichen Archetyp Wick zu lösen, stolpert er bei der Darstellung der Kultur, auf die er sich beruft. Indem er die Ruska Roma als ästhetisches Motiv ohne tiefere Auseinandersetzung damit verwendet, greift der Film dieselben exotisierenden Klischees auf, die seit langem Sinti und Roma-Gemeinschaften in den populären Medien überschatten, und tappt damit in die Falle des antiziganistischen Blicks (antigypsy gaze). Die Erzählung spielt mit dem Erbe, vermeidet es jedoch, dessen tatsächliche Bedeutung zu ergründen.

Noch besorgniserregender ist die Wiederbelebung eines alten und beunruhigenden Klischees: die Roma als geheimnisvolle, im Schatten lebende Kultur – eine unsichtbare Hand hinter globalen Netzwerken von Verbrechen und Macht. Diese Darstellung nährt eine immer wiederkehrende Fantasie: den rätselhaften, transnationalen Clan, der sich lautlos über Grenzen hinwegbewegt. Hier wird die Identität der Roma nicht dargestellt, sondern abstrahiert und dient als Vehikel, um einen alten Mythos am Leben zu erhalten.

In einem Franchise, das von strengen Codes, esoterischen Ritualen und Blutschuld besessen ist, wird dieser alte Mythos wieder modern. Die Ruska-Roma fungieren als Chiffre, als Symbol für eine unsichtbare Macht, die Zeit und Raum durchzieht. Sie werden nie vollständig benannt, sind aber immer präsent, eine gespenstische Architektur des Einflusses, die an den Rändern jedes Bildes spukt.

Die Anmut des Attentäters, die Eleganz der Gewalt, die Disziplin eines Balletts aus Kugeln – all das verschmilzt zu einer stilisierten Vision, die die Ruska Roma letztlich als dunklen Spiegel erscheinen lässt und somit das Bild der Roma-Identität als Mythos bewahrt. Eine Kraft außerhalb des Gesetzes, gehüllt in Geheimnisse.

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Über den Autor

Dr. Ismael Cortés ist sowohl Wissenschaftler als auch praktischer Politikanalyst mit direkter politischer Erfahrung als Abgeordneter im spanischen Parlament. Mit seiner Arbeit überbrückt er die Kluft zwischen akademischer Forschung und politischer Entscheidungsfindung, indem er historische und strukturelle Diskriminierung durch rigorose Analysen und greifbare gesetzgeberische und politische Maßnahmen bekämpft. Derzeit prägt Dr. Cortés den Diskurs über Gleichberechtigung und Integration als Romani-Rose-Fellow an der Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg und als außerordentlicher Professor im internationalen Masterprogramm für Friedens-, Konflikt- und Entwicklungsstudien an der Universität Jaume I, wo er die nächste Generation globaler Wissenschaftler*innen und Fachleute anleitet, die sich für Menschenrechte einsetzen.

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